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Futuring als Wesensnatur

Menschen sind immer wieder fasziniert von der Frage nach der Zukunft und den möglichen Alternativen ihres Lebens. Martin Heidegger beschreibt in »Sein und Zeit« warum sich das Leben des Menschen wesentlich in einem Raum alternativer Möglichkeiten abspielt. "Der Mensch ist wesentlich seine Möglichkeit". Die nichtergriffenen Möglichkeiten der Vergangenheit sind bei dieser Betrachtung nicht weniger entscheidend für seine Identität, als die gewählte.

Doch nicht nur in der Vergangenheit, insbesondere in der Zukunft sind wir von Möglichkeiten des Lebens umfangen. Blicken wir zurück, finden sich Momente, die wir heute sicher anders entschieden hätten, wenn wir damals die richtigen Annahmen getroffen hätten. Und wir verstehen, dass sich solche Momente in jedem Augenblick wiederholen.

Unsere Gegenwart, so meint Heidegger, gewinnt nur aus diesem Zukunftsbezug ihre eigentliche Bedeutung. Wir treffen Entscheidungen, indem wir aus einer gedanklichen Zukunft auf den gegenwärtigen Moment zurückzublicken versuchen. Und obwohl von den zahllosen möglichen Zukünften, die sich vor uns ausbreiten, nur eine am Ende faktisch die unsere geworden sein wird, gehören doch alle anderen gleichermaßen zu dem, wer wir heute sind. Das Nachdenken über alternative Zukünfte gehört zu unserem Wesen und damit zu unserem Leben.


Gegenstand von »Futuring« sind Bilder, Vorstellungen und Annahmen, die wir uns heute von der Zukunft machen. Alle unsere Entscheidungen basieren auf diesen Bildern und Annahmen. Im Dialog versuchen wir diese Annahmen zu hinterfragen und zu plausibilisieren, um Ihre Entscheidungen zukunftsrobust zu machen.

Um Bilder offener Zukünfte zu konstruieren, muss reflektiert werden, was gegenwärtig überhaupt als mögich denkbar ist - und was als unveränderbar fortgeschrieben wird. Im Bewusstsein über die Möglichkeiten für Veränderung können Transformationsprozesse angestoßen sowie menschliche und gesellschaftlichen Entscheidungs- und Handlungsfähigkeiten unterstützt werden, in dem diese auf eine fundierte und reflektierte Basis gestellt werden. Statt der Fortschreibung der Gegenwart öffnet sich das Potenzial zur Transformation.

Deshalb wird auch Futuring gerne in der psychologischen Beratung und Therapie zur Steigerung der Resilienzeingesetzt.

                            »Keine Theorie der Psychologie wird je vollständig sein, die nicht an zentraler Stelle ein Konzept

                             einbaut, in welchem der Mensch seine Zukunft in sich trägt, und diese im jeweils gegenwärtigen

                                                              Moment dynamisch aktiv ist« (Abraham Maslow, Psychologe)

Resilienz wird als wichtige Kompetenz zur Bewältigung sozialer Veränderung angesehen. Sie entsteht in einer dynamischen Wechselwirkung mit der Umwelt und wird beeinflust durch die Fähigkeit des Menschen, sich die Zukunft vorzustellen. Dabei werden zwei zeitliche Kategorien unterschieden: (1) die linear-zeitliche Perspektive wird durch die Werke von Alfred Adler und Albert Bandura vertreten, (2) die Perspektive der komplexen Zeit wird durch Thomas W. Lombardo und seine Forschung zum Zukunftsbewusstsein sowie durch Frederick T. Melges mit seinem Ansatz zur "inneren Zukunft" vertreten. Futuring steigert letztendlich unsere Anpassungs- und Veränderungskompetenz, indem es die Art, wie wir uns unser Leben vorstellen und ihm Sinn geben mit der Art, wie wir unser Leben weiter führen werden, verbindet.

In der modernen wissenschaftsbasieren Welt beschränken wir uns gerne auf Kausalitätsvorstellungen und -erklärungen. Die Kausalitätsursache wird definiert als "Gegenstand, dem ein anderer folgt", um die berühmte Formulierung des Philosophen David Hume aufzugreifen. Weitaus umfänglicher war und ist indes die aristotelische Ursachenlehre, die neben der Material-, Form- und Wirkursache (Kausalursache), vor allem die Zielursache berücksichtigt. Für Aristoteles ging es nicht allein um die Frage, woher etwas kommt (Wirkursache), sondern auch, was man bezweckt bzw. erreichen will (Zielursache); sie ist also in die Zukunft gerichtet.

                            »Der Mensch vermag sich Zwecke zu setzen und zu handeln, um diese Zwecke zu erreichen.

                           Sein Handeln wird oftmals erst verstehbar, wenn man um das Ziel weiß, das mit dem erstrebten

                                             Endzustand einer Handlung gegeben ist.« (Gregor Schiemann, Philosoph)


Futuring ist uns Menschen inhärent und vermag - bei entsprechender Förderung - uns zu befähigen, eine aktive Rolle bei der Gestaltung der Zukunft zu übernehmen, sowie Resilienz und ein Gefühl der Entscheidungsfreiheit angesichts der Herausforderungen und Unsicherheiten des Lebens zu fördern.

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Die Zukunft ist kein Ort, zu dem wir gehen, sondern eine Idee in unserem heutigen Bewusstsein. Etwas, das wir erschaffen. Und das uns dabei verwandelt.

- Stephan Grosz -